Mittwoch, 13. Februar 2013

Zwischen lachenden und weinenden Kindern, oder: Welcome to St. Elizabeths Catholic General Hospital Shisong




Aus dem Badezimmerspiegel blickt mir eine Lazarett- Krankenschwester, die aus einem Film über den zweiten Weltkrieg entsprungen scheint, entgegen. Sie trägt ein knielanges weißes Kleid mit einer in der Taille gebundenen Schürze, die Haube nicht zu vergessen. Diese Krankenschwester bin ich. Seit ich das erste Mal zur Untersuchung ins Shisong Hospital kam, habe ich die Schwestern um ihre schönen Uniformen beneidet und bin daher recht stolz, dass ich nun auch im Besitz einer solchen bin. Es ist halb sieben. Um sieben trete ich meine erste Schicht auf der Kinderstation an. Ein bisschen aufgeregt bin ich natürlich schon. Diese Aufregung verfliegt jedoch sofort, als ich das Schwesternzimmer betrete und herzlichst in Empfang genommen werde. Sogleich erhalte ich eine Führung durch die gesamte Station und schon wird mir meine erste Aufgabe zugeteilt: die trockenen Laken und Kopfkissen aus der Wäscherei holen. Unterwegs dorthin werden Belinda, eine nette Schwesternschülerin, und ich alle zehn Schritte angehalten, da jeder die neue weiße Schwester in ihrer wie angegossen sitzenden Uniform begrüßen möchte. Obwohl ich jedes Mal betone, dass sie doch haargenau so ist, wie die Anderen auch, sind sich alle einig, dass sie mir besonders gut steht. Einerseits finde ich es wirklich lieb und goldig von den Schwestern, andererseits tut es mir ziemlich leid für Belinda, die die gesamte Zeit neben mir warten muss.
Wieder auf der Station lerne ich, wie ich die Betten der entlassenen Patienten desinfiziere und neu beziehe. Eine Lektion, die man hier wirklich lernt: Zusammen ist man weniger allein. Das Laken alleine um die Matratze zu knoten und anschließend die diversen Überdecken in verschiedenen Falttechniken anzuordnen wäre ziemlich kompliziert. Schnell sind Belinda und ich uns vertraut und wir verstehen uns auf Anhieb super. Nach dem Bettenmachen gehe ich auf meinen ersten Rundgang: Überprüfung der Vitalfunktionen. Ich werde direkt eingebunden und darf Fieber messen. Ich bin nur elektronische Thermometer gewöhnt und muss dadurch erst einmal mit dem „Zurückschütteln“ des Quecksilbers kämpfen. Nach dem dritten Mal habe ich es jedoch heraus und habe vorher viel zu großen Aufwand betrieben, wie ich feststelle. Da wir nicht im Schwesternzimmer stehen sollen, wenn es nichts zu tun gibt, gehen wir durch die verschiedenen Zimmer und unterhalten uns mit den kleinen Patienten oder ihren Eltern.
Viel zu schnell ist die erste Schicht vorbei und ich bin einerseits ziemlich geschafft vom siebenstündigen Stehen andererseits überglücklich. Es war wirklich toll!

Als ich das Schwesternzimmer am nächsten Morgen betrete, ist die Stimmung gedämpft. Eines der Frühchen aus Zimmer vier musste an die Sauerstoffversorgung angeschlossen werden. Dr. Olga, die Kinderärztin aus der Ukraine, welche hier schon zwölf Jahre arbeitet, sagt jedoch, es bestehe kein Grund zu größerer Sorge. Also steigen wir in unsere Tagesroutine ein: Patienten besuchen, Bettenmachen und desinfizieren, Vital-Signs Check und mit den Patienten ins Gespräch kommen.
Um zwölf ist es Zeit für die Medikamente und heute darf auch ich den kleinen Patienten und Patientinnen ihre Medizin bringen. Die meisten sind wegen Malaria hier und sie bekommen zusätzlich zum Tropf Medikamente zur schnelleren Genesung.

Kurz vor Ende meiner Schicht bringt eine junge Mutter, vielleicht in meinem Alter, ihren zwei Wochen alten Sohn ins Schwesternzimmer. Als sie das Deckchen, in das er gewickelt ist, zurückschlägt, bin ich das erste Mal wirklich geschockt: Von dem Kleinen sind nicht viel mehr als Haare, Haut und Knochen zu sehen. Es sieht aus wie ein Baby aus einer Spendenwerbung in Fernsehn. Es atmet röchelnd und ist trotz der dunklen Hautfarbe leicht bläulich. Die Mutter scheint mit der Situation schlicht überfordert zu sein. Auch dieser kleine Patient wird direkt an Tropf und Sauerstoff angeschlossen. Der Blutzuckerspiegel, den ich ganz allein messen durfte, versetzt uns einen weiteren Schock: 539. Der Normalwert liegt zwischen 90 und 120, weswegen wirklich aller Grund zur Sorge besteht. Da meine Schicht schon sein einer halben Stunde vorüber ist, werde ich dankbar darüber, dass ich länger geblieben bin, nach Hause geschickt.

Als mein Wecker am folgenden Tag klingelt, springe ich aus dem Bett und bin sogar schon vor Schichtbeginn auf Station. Die Situation des Frühchens hat sich verbessert, aber die des  kleinen Jungen hat sich dramatisch verschlechtert.  Während der Nachtschicht hat er angefangen aus jeglichen Körperöffnungen geronnenes Blut und Flüssigkeit zu verlieren. Auch der Blutzuckerwert ist kaum verändert. Heute bin ich mit der Stationsschwester, Cornelius, dem einzigen Pfleger, und einer weiteren Schwester alleine, da die Schwesternschüler und Schülerinnen ihren Schultag haben. Ich begebe mich also mit Cornelius alleine in die Wäscherei und auf die Zimmer.
Als wir um kurz vor elf fertig sind und ins Schwesternzimmer kommen, röchelt das Baby sehr stark. Trotz Sauerstoffversorgung fällt es ihm sichtlich schwer zu atmen und es spuckt immer wieder schwarzbraune Flüssigkeit. Plötzlich geht alles ganz schnell. Stationsschwester Brunhilda hechtet zum Medikamentenwagen und fischt nach einem Medikamentendöschen, füllt es mit Wasser und gießt dieses dem Baby über die Stirn. In ihrer Geistesgegenwaertigkeit tauft sie das Kleine. Das Baby atmet noch einmal. Dann ist es still im Raum. Der Brustkorb bewegt sich nicht mehr. Wir rufen nach Doktor Olga, die sofort versucht es zu reanimieren. Aber es ist zu spät.

Es ist elf Uhr elf. Vor meinen Augen ist gerade ein Baby gestorben. Und ich konnte nichts dagegen unternehmen.

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