Sonntag, 21. Oktober 2012

Ein Wochenrückblick, oder: Madame Mel kann auch anders




Diese Woche ist Test-Week.
Also muss ich für meine drei Klassen einen Test entwerfen.. Das fällt mir aber nicht schwer, denn eine Stunde hat nur 40 Minuten und hier gibt es keine Arbeiten, die ausgeteilt und bearbeitet werden, sondern die Schüler müssen die Aufgaben von der Tafel abschreiben.
Gleich nach der morgendlichen Messe ist die Form One an der Reihe. Als ich den Klassenraum betrete ist das Geschrei schon groß: „Madame, Madame, ich werde kläglich versagen, Deutsch ist sooooo schwer !“ Ich versuche zu beschwichtigen, indem ich meinen Kids erkläre, dass der Test ganz einfach sein wird und sie sich keine Sorgen machen sollen.
Und dann geht es auch schon los: Ich schreibe die Aufgaben an die Tafel und zu meiner Überraschung ist meine sonst so lebhafte Klasse vollkommen still und schreibt gebannt von der Tafel ab. Nur Leslie, der Klassenclown mit dem charmanten Lächeln schreibt nicht. „Leslie, what’s the matter?“ Leslie, was ist los, frage ich ihn.
„Ach Madame Mel, dein Kleid ist heute so schön.“, antwortet er mir grinsend..
Dieser Junge treibt mich manchmal in den Wahnsinn,.. Aber ich kann ihm einfach nicht böse sein. Also frage ich ihn, was wirklich los ist.. Es stellt sich heraus, dass er seinen Stift vergessen hat. Glücklicherweise bin ich darauf vorbereitet und habe eine ganze Schachtel Kugelschreiber mitgebracht. Jetzt, nachdem auch der Klassencharmeur versorgt ist, kann ich beruhigt durch die Reihen gehen und aufpassen, dass niemand einen Spickzettel mitgebracht hat. Die meisten meistern die Aufgaben (sich selbst vorstellen, die Wochentage und die Farben) sehr gut und schon ist die Zeit auch schon herum. Ich muss die Arbeiten sehr schnell einsammeln und dann auch schon zu meinen Form Three’ern rennen, damit sie auch volle vierzig Minuten haben.

Da wir schon Konjugationen durchgenommen haben, muss ich mehr an die Tafel schreiben. Dies stellt sich schnell als Problem heraus, denn sobald ich meinen Rücken der Klasse zukehre, wird natürlich geflüstert und verglichen. Egal wie oft ich sie  ermahne, das Geflüster bleibt. Als ich endlich fertig bin und mich umdrehe, erwische ich prompt einen Schüler beim spicken. Langsam aber stetig sinkt meine Stimmung und ich frage mich, ob die Schüler mich für blöd halten und denken, ich würde ihnen das durchgehen lassen. Tue ich natürlich nicht. Für Emmanuel heißt es: Zero over Twenty. Null Punkte. Er versucht sich zu winden und herauszureden, aber ich bleibe hart. Madame Mel kann auch anders. Ich bin nicht immer die nette und verständnisvolle Deutsche. Auch wenn die anderen Schüler leicht geschockt sind habe ich so wenigstens ein Zeichen gesetzt. Der Rest der Stunde verläuft mucksmäuschen still. Ich sammele am Ende ihre Tests ein, schenke aber niemandem ein Lächeln, auch wenn es mir sehr schwerfällt. Wie soll das nur in meiner Rabaukenklasse, der Form Two, werden, wenn es hier schon so schwierig war.

Die Situation, dass man die Aufgaben an die Tafel schreiben muss und die Tatsache, dass ich viel an die Tafel schreiben muss, da es sich bei den abzufragenden Dingen hauptsächlich um Vokabeln und Sätze oder Konjugationen handelt, ist mehr als unglücklich. Jetzt weiß ich, warum meine Lehrerkollegen immer so über die Test- Week geschimpft haben.

Mit gemischten Gefühlen betrete ich den Klassenraum der Form Two. In dieser Klasse sind mit Abstand am meisten Schüler und am wenigsten Tische, was bedeutet, dass ich sie nicht einmal entfernt voneinander setzen kann. Es sitzen also an vielen Tischen nicht zwei, sondern drei oder sogar vier Kinder. Und es ist die wildeste meiner Klassen noch dazu.
Um die chaotischsten vierzig Minuten seit langem etwas abzukürzen: Es gibt keine andere Möglichkeit, als in dieser Klasse den Test zu wiederholen, weil viel zu viele Schüler abgeschrieben haben, auch wenn die Hälfte falsch war. Abschreiben geht wirklich nicht. Und das müssen meine Kiddis ein für alle Mal verstehen.

Der Test wird am Mittwoch wiederholt. Davor habe ich zum Glück genug Zeit, die Tests der restlichen Klassen zu kontrollieren. Mit meinen Form One’s  bin ich unglaublich zufrieden und stolz: Fast alle haben bestanden, obwohl die Rechtschreibung so schwer für sie ist und sie mündlich noch viel besser sind. Als ich vorschlage, noch einen mündlichen Test zu machen, sind alle begeistert. Begeisterung über einen Test. Das habe ich auch noch nie erlebt. In der 9. Klasse (Form 3) sieht es nicht ganz so rosig aus, es hat weniger als die Hälfte bestanden, aber ich habe den Test auch nicht gerade einfach gestaltet. Bei der Korrektur an der Tafel fällt mir aber auf, dass die Schüler eigentlich alles wissen, jedoch nicht ganz sicher sind, wie sie es aufschreiben, also buchstabieren, sollen.

 Hier sind wir wieder bei meinem Anfangsproblem: Die Schüler malen die Buchstaben mehr von der Tafel ab, als dass sie sich Gedanken über die Wörter machen. Einmal schreiben sie ‚Ich heiße…‘ und das nächste Mal schreiben sie ‚Ish hiese…‘. Und ihnen ist nicht klar, dass es sich um ein und denselben Satz handelt. Das Problem muss von der Wurzel an behandelt werden, aber wie soll man etwas ändern, was in allen anderen Fächern und Unterrichtsstunden genau so weiter praktiziert wird? Der Lehrer schreibt an, spricht vor, die Schüler wiederholen und schreiben ab. Ohne wirklich darüber nachzudenken, was sie überhaupt sagen oder schreiben. Eigenleistung (was wir in der Schule als Transferleistungen kennengelernt haben) findet hier nicht statt. Repetitio est mater studiorum. Nicht, dass Wiederholung nicht wichtig ist, aber wenn die Schüler einfach gedankenlos und gebetsmühlenartig nachsprechen, was ihnen vorgegeben wird, bleibt auch nichts hängen. Und sie können nicht einmal etwas dafür, denn sie kennen es ja nicht anders.

Auch hier wird mein Angebot, einen zusätzlichen mündlichen Test zu machen, dankbar angenommen. Zum Ende suche ich mir noch fünf Schüler aus, die mit mir gemeinsam den Test in der Form Two beaufsichtigen. Auch der Dicipline Master (und Französischlehrer) möchte mich unterstützen, aber ich mache ihm freundlich aber bestimmt klar, dass ich genug Leute für die „supervision“ gefunden habe. Ich hatte vergangene Woche schoneinmal das Gespräch zu ihm gesucht, da er die Schüler mit einem Rohrstock schlägt und ich das nicht sehen möchte. Ich weiß, dass es an den Schulen Gang und Gebe ist mit dem Rohrstock zu bestrafen, aber auch Fr. Johannes (der die Schule leitet und gleichzeitig ja mein „Gastpapa“ ist) ist gegen Schlagen, da er aber auch erst im Sommer als Direktor ans St. Rita’s gekommen ist, haben die Lehrer noch keinen so rechten Respekt vor ihm und erkennen die „westlichen“ Unterrichtsmethoden nicht wirklich an.

Dieser Test verläuft wesentlich besser und disziplinierter. Vielleicht liegt dies daran, dass ich verlangt habe, dass die Tische komplett leer sein müssen, ich eigene Stifte und eigenes Papier mitgebracht habe, vielleicht aber auch daran dass meine fünf Supervisors ihre Rolle sehr ernst nehmen und wirklich kein Erbarmen haben. Auf jeden Fall war es totenstill im Raum und keiner hat sich getraut auch nur einen Blick auf das Blatt des Nachbarn zu werfen.

Als der Test vorbei ist und ich wieder auf dem Weg zum Haus bin, weil es Mittagessen gibt, kommt  Sandra aus der Form Three hinter mir her gerannt und drückt mir ihr Heft in die Hand. Sie habe versucht ein paar Sätze aus den Vokabeln zu bilden und ich soll sie doch bitte kontrollieren, sagt sie mir schüchtern.
Jetzt bin ich wahnsinnig stolz und mein Tag ist gerettet, denn ich kann meine Tests sogar draußen in der Sonne korrigieren. 

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